Montag, 8. Januar 2024

Bodenwelle und Raumwelle

 

"Was passiert mit den Kurzwellen beim Ausfall der Ionosphäre? Kann man - z.B. im 80m Band - die Bodenwelle nutzen, um zu funken? Was auf 2m möglich ist, sollte doch auch auf Kurzwelle funktionieren?"

Wie so oft heisst die Antwort auch hier: "Es kommt darauf an." Oder in Politiksprech: "Man muss das im Kontext sehen."

Dieser Kontext sieht so aus: nutzbare Bodenwellen existieren nur im Lang- Mittel- und Kurzwellenbereich. Bodenwellen sind Oberflächenwellen. Sie brauchen die Nähe des Bodens und breiten sich entlang der Erdoberfläche aus. Je länger die Wellen, desto weiter. Darauf setzt der Rundfunk auf Lang und Mittelwelle. Die Bodenwelle garantiert eine stabile und sichere drahtlose Verbindung in diesen Wellenbereichen. Die Ionosphäre wird dazu nicht gebraucht. Im Gegenteil: Sie stört nur, wenn sie nachts die Wellen reflektiert und QSB verursacht.

Auf UKW ist es anders. Es gibt keine relevante Bodenwelle. Wir nutzen im 2m Band die Raumwelle.

Im VHF/UHF und Mikrowellen Bereich nützen wir die Raumwelle, weil die Reichweite der Bodenwelle viel zu kurz ist. Ultrakurze Wellen lieben es nicht, dem Erdboden entlang zu kriechen. Ihnen geht rasch die Puste aus. Doch wenn unsere Antenne die der Gegenstation sehen kann, dann funktioniert es. Sichtverbindung nennt man das. Dann funken wir mit der Raumwelle, die sich nicht um den Erdboden schert. Mit Milliwatt über Hunderte von Kilometern. 

Sofern keine Hindernisse im Wege stehen wie oben im Bild. Doch so krass muss es nicht sein. Es reicht bereits, dass Hindernisse in die Nähe der Sichtlinie kommen, um die Wellen zu dämpfen. Denn unsere Funkwellen breiten sich nicht als Strich in der Landschaft aus. Unsere Wellen beanspruchen mehr Platz. 

Dieser Raumanspruch wird Fresnelzone genannt. Man kann sich diese als Ellipsoid vorstellen (ähnlich wie ein Zeppelin), durch dessen Längsachse unser Sichtstrahl führt. Alle Hindernisse, die in die Fresnelzone hineinragen, dämpfen die Wellen. 

  

Bild von Jcmcclurg - FresnelSVG.svg, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=22193531

Doch zurück zur Kurzwelle: Die Fresnelzone gilt natürlich auch für die Kurzwelle und hier sind ihre Auswirkungen gravierend. Die Dicke des Zeppelins vergrössert sich nämlich mit der Wellenlänge. Bereits im 40m Band ist die Fresnelzone so dick, dass die Wellen schon kurz nach der Antenne mit dem Erdboden "kollidieren" und somit in die Fresnelzone kommen. Wenn unsere 40m Welle nicht hinauf zur Ionosphäre eilen würde, um dort reflektiert zu werden, würde sich die Raumwelle innert kurzer Distanz in der Fresnelzone zu Tode laufen. 

Die Kurzwelle in der gleichen Art wie auf UKW für Sichtverbindungen zu nutzen, funktioniert höchstens im 10m/11m Band. Im Übergangsbereich zwischen Kurzwelle und VHF.

Auf den längeren Kurzwellen muss die Bodenwelle ran, wenn die Ionosphäre nicht im Spiel ist. Allerdings nur unter einer Bedingung: Die Antenne muss vertikal polarisiert sein. Horizontal polarisierte Wellen erzeugen keine relevante Bodenwelle.

Sichtverbindungen über die Raumwelle funktionieren auf Kurzwelle schlecht. Unsere Antennen sind zu niedrig und die Fresnelzone "versinkt" bereits im Erdboden vor der Antenne. Wie ein abgestürzter Zeppelin.

Das ist natürlich eine verzwickte Sache. Die meisten Amateurfunkantennen für 40, 80 und 160m sind horizontal polarisiert. Sie strahlen zwar ihre Wellen in den Himmel über unserer Station. Aber wenn die Ionosphäre nicht da ist, um sie zu reflektieren, nützt das nichts. 

Schauen wir doch einmal, wie das in der Praxis aussieht. Mit diesem Diagramm können wir die Reichweite der Bodenwelle für das 40m Band abschätzen. 

Wie wir sehen, schafft die 40m Welle eines 100 Watt Senders noch ca. 30km mit einem S9 Signal. Schlechtes Terrain  reduziert die Reichweite zusätzlich (schlechte Bodenleitfähigkeit, stark bebautes oder zerklüftetes Gelände). Wenn die MUF (100km) über 7MHz liegt und die Ionosphäre auf diese Distanz auch mitspielt, wird es kompliziert: Beim Empfänger kommen dann beide Wellen zusammen an, addieren oder subtrahieren sich. Das führt dann zu starkem QSB.

Doch wie bereits erwähnt, funktioniert das nur mit vertikaler Polarisation. Unsere horizontalen Drähte produzieren hauptsächlich horizontale Polarisation und nur einen Restposten an vertikaler. 

Interessant sind in diesem Zusammenhang die Kurven der ITU für die Bodenwellen von 10kHz bis 30 MHz. Diese Kurven gibt es für Meer- und Süsswasser und Böden mit unterschiedlicher Bodenleitfähigkeit. Man findet das Dokument hier.   Die Diagramme sind sehr interessant und zeigen die Auswirkung der verschiedenen Oberflächen auf die Reichweite der Bodenwelle. Damit man etwas mit den angegebenen uV/m anfangen kann, ist es gut zu wissen, dass S9 (50uV) 22 uV/m entsprechen.

Das 40m Band ist mehr ein Europa (tagsüber) und DX Band (nachts) und wird weniger für Verbindungen über kurze Distanzen benutzt. Da sind 80m und vor allem 160m schon eher geeignet. In diesem Diagramm hier sehen wir, wie weit die Bodenwelle im 160m Band reicht.

Das sieht doch schon besser aus, nicht war? Die Bodenwelle eines 100 Watt Signal kann über 100km zurücklegen, um noch ein S9 Signal zu erzeugen. Vorausgesetzt, die Antennen sind vertikal und strahlen die volle Leistung ab. 

Doch mit den 160m Antennengebilden des "Normal-Amateurs" ist das nicht zu schaffen. Schon wegen der geringen Effizienz und der hauptsächlich horizontalen Polarisation würde ich schätzungsweise 20 bis 30 dB abziehen. So um die 30 km+könnte für die Bodenwelle dann noch drin liegen. Mit einem verkürzten, niedrig hängenden Inverted V Dipol zum Beispiel. Eine Inverted L-Antenne dürfte aber besser abschneiden, da der Vertikalteil der Antenne mehr vertikal polarisierte Wellen erzeugt. Das gilt für unser Hügel- und Bergland. Wer an der Küste wohnt erlebt die "Funkwelt" anders.

Die Diagramme für 40 und 80m stammen von der Webseite von VU2NSB. Dort könnt ihr noch viel mehr über Wellenausbreitung erfahren. Es lohnt sich, diese Seiten zu studieren. Wenn man lieber Deutsch liest - kein Problem. Google übersetzt die Seiten mit einem Mausklick (Rechte Maustaste> Übersetzen auf Deutsch).

Über die Bodenwelle habe ich schon an anderer Stelle geschrieben. Zum Beispiel hier.

Wir Amateure bringen - im Gegensatz zu den Profis - manchmal Dinge durcheinander. Auch die Begriffe Boden- und Raumwelle. Im Englischen ist es noch schlimmer: Von Surface and Ground-wave wird geschrieben. VU2NSB versucht auf seiner Web-Seite dieses Gewirr etwas zu entwirren. Daher zum Schluss nochmals zusammengefasst:

Bodenwellen kriechen dem Erdboden entlang und interagieren mit diesem. Sie sind vertikal polarisiert. Je grösser die Wellenlänge, desto grösser die Reichweite. Auf 144 MHz und höher ist die Reichweite unbedeutend klein.

Raumwellen strahlen in den Raum und folgen den Gesetzen der Optik (Diffraktion, Refraktion, Reflexion, Fresnelzone). Auf UKW erreichen wir damit den nächsten Berggipfel. Auf Kurzwelle erreicheit die Raumwelle die Ionosphäre, aber die ausgedehnte Fresnelzone behindert die direkte Übertragung von Antenne zu Antenne über Land. Da muss die Bodenwelle ran.    

    

3 Kommentare:

  1. Hallo Anton,
    besten Dank für Deine Beiträge hier in Deinem Blog !!!
    Seit vielen Jahren schreibst Du sehr interessante und fundierte Artikel
    zum Thema Funktechnik

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    1. Hallo Anton,
      Seit vielen Jahren schreibst Du sehr interessante und fundierte Artikel
      zum Thema Funktechnik.
      Ich schaue mehrfach pro Woche hier in Deinen Blog ob es wieder einen neuen Beitrag gibt!
      Besten Dank für Deine Beiträge in all den vielen Jahren
      73 Rolf, DK9DQ

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    2. Da fällt mir noch eine Frage ein: Wie viel Prozent einer Funkwelle in Abhängigkeit von der Frequenz wird eigentlich in Abhängigkeit vom Material reflektiert, und wie viel wird absorbiert? Ist die Ionosphäre dicht unterhalb der Grenzfrequenz, oder geht noch ein bisschen was durch?
      Danke für die Beiträge. Fragen aus der Praxis zu beantworten ist besser als Theorie zu deklarieren.
      Roland DL9NBX

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